Predigt zum Gemälde “Sixtinische Madonna” (j.kohtz)

Bilder sind Zeittore.
Wir schauen ein Bild an, ein Foto vielleicht von unserer Kindheit, und – hast du nicht gesehen – finden wir uns dort wieder, in unserer Kindheit. Und Erinnerungen kommen und die Zeit damals ist wieder lebendig.

Hier das Bild, die sogenannte Sixtinische Madonna. Auch dieses Bild versetzt uns in eine andere Zeit, eine andere Welt.
Vorhang auf! Tatsächlich: ein Vorhang aus schwerem grünen Stoff ist links und rechts zur Seite gezogen, hochgerafft und gibt uns den Blick frei auf vier Personen. Nein, es sind sechs ,. wenn wir die beiden Engel am unteren Rad mitzählen. Sind Engel auch Personen? Sie schauen jedenfalls sehr menschlich. Allerliebst. zum Knuddeln fast. Sie haben den Sprung aus dem Bild geschafft in eine eigene Welt der Postkarten. Aber vorerst sind sie hier und schauen. Wer kommt da von oben herab geschwebt? Es ist Maria. Die Gottesmutter. In einem Tuch in Blau, darunter ein rotes Kleid. Blau und Rot – damals die edelsten Farben, und die mit am teuersten. Das Blau wurde aus dem Edelstein Lapizlazuli hergestellt, zu finden im Norden Afghanistans.
Blau als Symbol für das Himmlische, auch für Treue und Beständigkeit, Rot eine Farbe und Zeichen für das Blut und die göttliche Liebe.

Auf ihrem Arm Jesus. In der Gestalt eines Kindes. Schaut man in seine Augen, sind es die Augen eines Erwachsenen. Man meint, in diesen Augen die ganze, auch leidvolle Erfahrung der Menschheitsgeschichte zu sehen.
Maria schaut gerade aus dem Bild heraus. Wohin sie wohl schaut? Was sie wohl sieht? Dorthin, wo die ausgestreckte Hand der linken männlichen Person zeigt? Es ist ein würdiger Herr, sein Blick erwartend auf die Gottesmutter Maria gerichtet. Unten linkst im Bild die Tiara, eine besondere Kopfbedeckung – die Papstkrone. Es ist Papst Sixtus II. Er war Bischof von Rom. Das war im Jahr 257/258. Sein Name bedeute im Lateinischen „der Sechste“… Cyprian, sein Kollege erinnert sich: „Wisset auch, dass Sixtus am 6.August auf einem Friedhof zusammen mit vier Diakonen hingerichtet worden ist.“ Warum? Der damalige römische Kaiser Valerian hatte beschlossen, die Christen zu verfolgen, weil sie nicht den heidnischen Göttern Opfer brachten. Er wollte die Organisation Kirche treffen, indem er den Klerus – also die Priester Diakone und Bischöfe – gefangen nehmen lies, und sie – wenn sie am heidnischen Marstempel nicht opferten, sofort enthaupten lies. So geschah es auch Bischof Sixtus II.
Einer der Diakone war der Hl Laurentius, nach dem unsere Laurentii-Kirche in Calbe benannt ist.
Neben ihm eine weitere Frauengestalt – die hl. Barbara.
Sie wurde – so erzählt die Geschichte – von ihrem Vater Dioscuros in einen Turm gesperrt, da sie sich für den christlichen Glauben entschieden hatte. Ihr Vater war dagegen. Sie ließ sich dennoch taufen. Und ihr Vater? – er enthauptete seine eigene Tochter!

Zwei Personen, die wegen ihres Glaubens gestorben sind.
Hier auf dem Bild sind sie in einer anderen Wirklichkeit.Der Blick der Hl.Barbara ist nach unten gerichtet, hin zu einem Punkt außerhalb des Gemäldes. Ihre Haltung anbetend und irgendwie ehrfürchtig, finde ich. Zu herrlich ist, was sie erlebt: Die Nähe des Schöpfers der Welt. Ein Kind, und doch nicht ein Kind. Auf dem Arm seiner Mutter. Diese scheint von oben herab zu schweben, von dorther, wo Zeit keine Rolle spielt. Wo das Leben herrscht. Wohin schreitet sie mit dem Kind? Wir sehen es nicht. Aber wir wissen, dass das Bild ursprünglich gegenüber von einem großen Kruzifix hing – Symbol des Leidensweges Christi, und auch Symbol des Leidensweges, den wir Menschen auf dieser Erde durchschreiten müssen. Nun aber durchschreiten wir ihn nicht allein, sondern Christus ist diesen Weg schon für uns gegangen. Nicht einfach vor uns sondern für uns!

Warum Sixtus und Barbara?
Beiden war die neu erbaute Klosterkirche San Sisto in Piacenza geweiht. Hier wurden auch ihre Reliquien verwahrt. Der damalige Papst Julius II beauftragte den 28 Jahre alten Raffael mit diesem Altarbild. Er malte es 1512/13.
Raffael, der junge Künstler, ist auf dem Bild nicht zu sehen. Aber dennoch ist auch er gegenwärtig. In jedem seiner Pinselstriche, in seiner gestalterischen Kraft eröffnet er uns eine Welt, die auch seine war. eine Welt, die sehr diesseitig lebte – eine Welt im Aufbruch zu neuen Ufern; eine Welt, in der Kolumbus Amerika entdeckte und viele andere Entdeckungen gemacht wurden. Eine Welt krasser Gegensätze. Und eine Welt voller Glauben.

Und er ermöglicht uns, viele Jahrhunderte später, einen Blick auf dieses Geschehen.
Es ist kein fernes Geschehen sondern ein ganz Gegenwärtiges.
Wenn wir genau hinschauen, merken wir, dass die Wolken hinter Maria nicht Wolken sondern Engel sind. Himmlische Sphäre und irdische Welt begegnen sich. diese Welt ist nicht mit sich allein. Wir sind im Gespräch – im Gespräch, in dem sich offenbar die drei Personen befinden. Hier weitet sich unser menschliche Blick und unser menschliches Urteil hin in göttlichen Horizont.
Wir dürfen unser Leben verstehen als unter dem Blick des Himmels erlebtes Geschehen. Wir sind – so sagt uns dieses Gemälde, hier nicht allein. Die Heiligen, ja Maria und Gott selbst wissen um uns.
Wer zu diesem Altarbild aufschaut, darf getröstet sein. Denn die göttliche Liebe, die Macht des Himmels bleibt nicht fern sondern ist uns nahe.
Amen.